Elisabeth Varga

Interview

1. Was bedeutet Lehre für dich und was sind für dich dabei die größten Herausforderungen?

Lehre, da bin ich sicher privilegiert, weil ich während meiner Dissertation so zu sagen nicht verheizt wurde. Für mich war Lehre immer freiwillig und ich habe sie immer sehr, sehr gern gemacht. Im Gegensatz zu vielen Hausstellen hier an der Fakultät habe ich während meiner Dissertationszeit max. 1-2 Wochen pro Semester gelehrt. Deswegen war für mich Lehre immer etwas Positives, nie eine Pflicht. Es macht mir einfach extrem viel Freude, wenn ich einen Teil von meinem Wissen weitergeben kann und den Leuten helfen kann selber auf die Lösungen / Ideen zu kommen. Das, was ich an der Lehre nicht gerne habe, sind die Vorlesungen, oder besser gesagt die Vorlesung im klassischen österreichischen Sinn. Nämlich, dass es einen Monolog von einem*einer Vortragenden gibt und die Studierenden nur „passiv“ in der Vorlesung sitzen. Ich war 2-mal in Dänemark und dort gibt es das überhaupt nicht. Jeder Frontalvortrag ist maximal 20 Minuten und dann gibt es irgendeine Aufgabe an die Studierenden, die sie zu lösen haben und bei der sie sich mit dem Lehrinhalt beschäftigen. Das ist auch einer von jenen Punkten, von denen ich mir wünschen würde, dass sie in Österreich ein bisschen mehr akzeptiert werden. Ja, es geht schon in die richtige Richtung, aber einige Studierende sind noch immer der Meinung, dass sie das Wissen wirklich 1 zu 1 vermittelt bekommen sollen und sie selbst nichts dafür beitragen müssen - sozusagen zuhören, verinnerlichen und wiedergeben. Anstrengung von ihrer Seite sich das Wissen auch selbst anzueignen ist oft nicht erwünscht.

Prinzipiell ist eine von den großen Herausforderungen, wenn bei Praktika und Vorlesungen Studierende mit sehr unterschiedlichen Hintergründen dabei sind und das Level an Vorwissen dadurch sehr unterschiedlich ist. Die Herausforderung ist, dass man die Studierenden, die sich schon auskennen, nicht verliert, weil man zu lange nur Basiswissen erklärt und diese sich dann fadisieren. Während Studierende, die vielleicht ein weniger langsamer sind oder für die es komplett neu ist, überfordert sind und gleich am Beginn aussteigen. Das alles mit dem Ziel, dass beide Gruppen Vorteile aus dieser Situation ziehen und etwas Lernen.


In COVID-Zeiten ist die größte Herausforderung die Studierenden dazu zu bringen, dass sie mit einem interagieren. Insbesondere bei Online-Einheiten, wie z.B. bei Vorlesungen, ist es oft schwierig die Studierenden dazu zu bringen eine Frage zu stellen oder wenn man eine Frage stellt, eine Antwort aus dem Auditorium zu bekommen. Bei Aufzeichnungen gibt es ja immer die Möglichkeit vor bzw. nach der Vorlesung Fragen zu stellen, die eben nicht aufgezeichnet werden, wenn man das nicht möchte. Hier ist die Hemmschwelle glaube ich sehr groß und es ist extrem schwierig Feedback von den Studierenden zu bekommen. Außerdem sehe ich normalerweise, wenn ich Vorlesungen halte, an den Augen/an der Haltung ob es eine Person jetzt versteht oder nicht. Man bekommt das mit. Wenn man jetzt gegen den Computer redet und nur ein paar Kommentare im Chat sieht, weiß man nicht, ob die Studierenden eigentlich gerade zuhören oder ob sie vielleicht nebenbei den Fernseher laufen haben oder irgendeine andere Aufgabe erledigen. Da die Studierenden zu motivieren mitzumachen ist eigentlich eine der größten Herausforderungen.
Im Labor ist eine der größten Herausforderungen, dass man das Labor so durchführt, dass die Studierenden trotz der Beschränkungen etwas lernen. Wir haben jetzt teilweise Beispiele auf online umgestellt und teilweise Beispiele, die sie trotzdem noch im Labor durchführen. Wir arbeiten zwar nun mit halber Saalbelegung, aber trotzdem funktioniert es mit dem Sicherheitsabstand nicht immer. Die Studierenden interagieren einfach auch sehr gerne miteinander, weil sie sich eben jetzt auch in COVID-Zeiten in Vorlesungen nicht sehen. Die andere Herausforderung ist, dass es auf Seite der Lehrenden nicht zu viel Arbeit/Aufwand wird. Es gibt einfach so eine Grenze, wenn man in einem Forschungslabor sagt: „Man darf jetzt nur noch 2 oder 3 Studierende zeitgleich unterrichten“, dann ist das ja noch okay. Aber 1 zu 1 Unterricht, geht einfach nicht, weil man als Lehrende*r viel zu viel Zeit investieren muss, um dieselbe Anzahl an Studierenden wie in Nicht-COVID-Zeiten gut durch das Praktikum zu bringen. Wenn du normalerweise 12 Leute im Praktikum hast und dann nur mehr 6 Leute nimmst, dann musst du als Lehrende*r zwei Kurse durchführen und die doppelte Zeit investieren. Dies ist halt auch manchmal eine Herausforderung, da die Forschung trotzdem weitergehen soll und wir ja auch in der Forschung (z.B. Schichtbetrieb) eingeschränkt sind. Im Moment ist dies schon ein bisschen ein Spagat.

 

2. Welche Bedeutung hat Chemie für dich?

 

Die Chemie ist überall, aber für mich ist es immer wichtig, dass man die Chemie nicht einzeln/alleinstehend betrachtet, sondern immer in Interaktion mit anderen Fachgebieten. Interdisziplinäre Projekte haben mir schon immer gefallen. Ich gebe es zu, ich habe nach der Matura überlegt, ob ich Chemie und dann Lebensmittelchemie studieren soll, habe mich dann aber dagegen entschieden. Ich wollte mich nicht zu früh auf ein Fachgebiet festlegen und mir hat die Interdisziplinarität, in meinem Studium sehr gefallen. Es ist natürlich so, dass wenn man „nur“ von überall ein bisschen etwas lernt, dann selbstständig in die Tiefe gehen muss. Dies ist aber auch ein Vorteil bei der Chemie. Das Gebiet der Chemie ist riesig und ich finde es wichtig, dass man mal alle unterschiedlichen chemischen Richtungen einmal kennenlernt, um sich dann später doch zu spezialisieren. Ich glaube, dass sich die Leute heutzutage schon viel zu früh spezialisieren und dann zu, wie man so berühmt sagt, „Fachidioten“ werden, weil sie sich nur mehr im eigenen Gebiet auskennen. Über den Tellerrand schauen ist daher wichtig, außerdem steigt meiner Meinung nach die Wertschätzung für die Kollegen*innen, wenn man zumindest die Grundlagen von ihrem Gebiet kennt.Ja, welche Bedeutung hat Chemie für mich? Also seit ich mit meiner Dissertation angefangen habe, bestimmt die Chemie, vor allem die analytische Chemie mein Leben und hat dadurch natürlich eine große Bedeutung für mich. Wichtig ist, dass es aber eben nicht nur die Chemie ist, sondern auch in Interaktion mit anderen Fachgebieten – vor allem der Biologie, Genetik, aber auch Pflanzenzüchtung und jetzt Toxikologie. Zusammengefasst: „Chemie große Bedeutung aber eben nicht alleine und auch nie getrennt sehen“. Deswegen sehe ich das immer als wichtig, dass die Studierenden sich nicht nur für ein Thema interessieren, sondern versuchen sich ein bisschen breiter aufzustellen. Dazu motiviere ich sie immer.

 

3. Was war deine Lieblings-Interaktion mit einem*einer Studierenden?


Ich habe sehr lange über diese Frage nachgedacht und bin dann zu dem Entschluss gekommen, dass es nicht eine Interaktion gibt. Die Interaktionen, die ich am liebsten habe, sind, wenn die Studierenden rausgehen und sagen, sie haben etwas gelernt. Ich bin seit 2 Jahren auf der Uni Wien und ich habe letztes Jahr zum ersten Mal Lehrveranstaltungen auf der Uni Wien gehabt. Unter anderem habe ich im Lebensmittelanalytischen Praktikum III die beiden HPLC-FLD Beispiele betreut. Ich habe dabei sehr viele praktische Sachen eingebaut; Vorsäule zerlegen, unterschiedliche Säulen mitbringen, unterschiedliche Gradienten besprechen usw. Am Ende haben eben sehr viele Studierende gemeint, dass sie schon so viel in der Theorie über HPLC gelernt haben, aber noch nie so viel gelernt bzw. verstanden haben wie an diesem Tag, den wir gemeinsam hatten. Obwohl das eben gerade bei der HPLC-FLD auch schon im Bachelor unterrichtet und auch im Praktikum angewendet wird. Oft steht aber das Ergebnis im Vordergrund und vielleicht nicht so sehr, dass man eigentlich das Gerät versteht. Das ist, was mir wichtiger ist. Klar ist aber auch, dass um eine Bewertung/Benotung durchführen zu können, eine Leistung erbracht werden muss. Aber es ist wichtiger, dass man, wenn man schon einen Fehler macht, daraus lernt. Dann beschreibt man einfach im Protokoll: „Ich habe den und den Fehler gemacht, deswegen stimmt mein Endergebnis nicht“. Das Ist mir jetzt lieber, als wenn ich von einem*r Studierenden ein perfektes Protokoll mit einem perfekten Ergebnis bekomme, ich aber ganz genau weiß, dass das einfach nur nach dem „08/15“ Prinzip gemacht wurde oder abgeschrieben wurde. Weil, sind wir mal ehrlich, unsere Beispiele sind jetzt nicht neu, sprich es kursieren sicher viele alte Protokolle in irgendwelchen Foren. Es ist also relativ einfach abzuschreiben und ein gutes Protokoll abzuliefern, ohne es zu verstehen.
Für mich ist die beste Interaktion mit den Studierenden also, wenn ich wirklich das Gefühl habe, dass sie etwas gelernt haben. Aber eben auch, dass sie sich das nicht nur für 5 min merken, sondern für einen längeren Zeitraum wissen. Mein*e Lieblings-Student*in ist jemand der*die motiviert ist und auch was lernen möchte und nicht einfach nur berieselt werden will.

 

4. Was sollte sich in deinen Augen am dringendsten auf der Universität ändern?

 

 

Was, meiner Meinung nach, wichtig ist, dass die Lehre höher bewertet wird. Ich sehe jetzt gerade auch bei den Doktorand*innen, dass das auch positiv gesehen wird. Denn natürlich, wenn man sehr gute Lehre macht, hat man weniger Zeit für die Forschung – man hat weniger Zeit Daten für Publikationen zu generieren und danach diese zu schreiben. Da ist es sicher so, dass da manches Mal die Wertschätzung fehlt – und das ist jetzt nicht nur auf die Uni Wien bezogen, sondern das ist in der Forschung einfach so, hier zählen nur Publikationen, keine sonstigen Leistungen. Meiner Meinung nach ist es aber so, dass wirklich gute Lehre nur möglich ist, wenn man auch daneben forscht. Denn sonst bleibt man oft stehen und lehrt die Konzepte von jenem Zeitpunkt, zu dem man selbst auf der Uni war. Für mich ist es viel einfacher HPLC zu lehren als zum Beispiel IC, da ich IC selbst nie in der Forschung angewandt habe. Das heißt von der Erfahrung, vom Troubleshooting her kann ich im HPLC Bereich einfach viel mehr einbringen. In Bezug auf die Lehre sollte man viel mehr Leute aus der Praxis hinzuziehen und nicht einfach Lehrende haben, die das Lehrbuchwissen weitergeben.

Der andere Punkt sind die Zugangsbeschränkungen. Im Bachelor Chemie gibt es diese ja erst seit kurzem. Das ist sicher nicht ideal, weil du nicht vorhersagen kannst in welche Richtungen die Personen dann eigentlich weitergehen und ob, und wie viele dabeibleiben. Es ist aber natürlich verständlich, dass diese notwendig sind, weil Chemie ein sehr laborintensives Fach ist. Das heißt: es ist sehr teuer. In der Chemie brauchst du die Laborräumlichkeiten, die Geräte und Chemikalien und die entsprechenden Betreuer*innen. Das macht schon Sinn den Zugang zu beschränken. Ich finde es nicht ideal, aber aus Kosten- und Kapazitätsgründen ist es natürlich notwendig.

Ein weiterer Punkt ist, dass man den Studierenden auch die Möglichkeit gibt, sich weiterzuentwickeln. Nach dem Bachelor, gibt es die Möglichkeit unterschiedliche Master zu belegen. Danach gibt es die Dissertation – dies ist für viele der letzte Punkt, da es danach keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr gibt. Es gibt relativ wenig Möglichkeiten / Perspektiven in der universitären Forschung zu bleiben, dies ist ein sehr kompetitives Gebiet. 

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