Michael Anton

Interview

1. Welche Interaktion mit Studierenden haben Sie im letzten Jahr am meisten wertgeschätzt?

 

Es handelt sich hier um die grundsätzliche Umgangsweise auf Augenhöhe, vor, während und nach einem Seminar, auch bei der `Konversation´ via Email. Das gegenseitige Ernstnehmen und die anspruchsgerechten Aussprachen über fachliche Inhalte aber auch über methodische Vorgehensweisen schafft eine Atmosphäre, die Ehrlichkeit ermöglicht und eine unmittelbare Reaktion auf Vorschläge ermöglicht. Meine Devise lautet, dass wir auf der Dozentenebene die Studierenden (Lehramt) genauso behandeln müssen, wie wir wollen, dass sie ihre Schüler*innen behandeln. Lehramtler*innen müssen an sich erleben können, was für den/ihren erfolgreichen Unterricht gut ist. Genauso müssen sie eine klare Vorstellung gewinnen können von dem, was lehrlernwissenschaftliche Chemie (Fachdidaktik) letztlich ist, indem sie zwischen ihr und den Fach- und Erziehungswissenschaften unterscheiden können.

Zudem wichtig ist die Offenheit hinsichtlich dessen, was verlangt wird und folgerichtig müssen auch die Bewertungen möglichst unmittelbar und absolut transparent, soll heißen nachvollziehbar sein. In den Schulversuchspraktika erhalten die Vortragenden sofort ein Protokoll mit Note und allen Einzelheiten der Bewertung.

In den Seminaren erhalten alle Studierenden ein unmittelbares Feedback, meist mit Feedforward, auf die Einzelleistungen.

Umgekehrt gelingt das seit vielen Semestern anhand der „Reflexionspapiere“, über die die Studierenden auf Antworten von drei Fragen außergewöhnlich ausführlich ihren Eindruck kundtun. Die Fragen: 1. Was haben Sie von der Veranstaltung erwartet?, 2. Was haben Sie tatsächlich erlebt?, 3. Was können Sie  mit dem Erlebten anfangen?, 4. Was kann man an der Veranstaltung verbessern?

Eine mir sehr wichtige Interaktion verwirklicht sich in der Betreuung von Bachelor- und Master-Arbeiten (zurzeit über 20). Die Themen für das engagierte Bearbeiten von praxisrelevanten Fragestellungen entsprechen der sogenannten Aktionsforschung und in unserem konkreten Fall der „Unterrichtsnahen Aspektforschung“ (UAF). Über die persönliche und durchgängige Betreuung dieser Forschungsarbeiten gelingt es, die Berufsorientierung exemplarisch zu vertiefen und wichtige Erfolgserlebnisse zu induzieren, die dazu führen (sollen), dass sich die Kandidat*innen auch später für Ergebnisse der Unterrichtsforschung interessieren!

 

2. Was war normal in Ihrer Zeit als Studierender, was heute undenkbar wäre?

 

Ob es heute völlig undenkbar ist, kann ich nicht sicher sagen, zumindest deutlich erschwert ist es auf alle Fälle: Neben dem Fachstudium war es möglich (1968-1973), andere Fächer unter die Lupe zu nehmen, Vorlesungen zu besuchen, die einfach nur interessant waren. Im Gegensatz zu diesen Zeiten, ist das aktuelle Studieren zu sehr verschult. Der Stundenplan in der Schule wird durch einen ebensolchen für das „Studium“ verbindlich vorgehalten. Das hat nur mehr sehr wenig mit „Studieren“ zu tun.

 

3. Was sind in Ihren Augen zurzeit die größten Hürden für Studierende?

 

Hierzu ließen sich stichpunktartig unterschiedliche Beispiele aufzählen: 

  • Der unverkennbare Spalt zwischen schulischen Abschlusskenntnissen und universitären Erstansprüchen (Schule und Universität sind zu wenig aufeinander abgestimmt: Bildungspolitisches Problem); 
  • die starke Verschulung des Unibetriebs, der die Entwicklung von Selbstständigkeit nicht unterstützt (Wirtschaftsinteressen dominieren Bildungsziele: Wirtschaftliches Problem); 
  • die geringe Anerkennung des Lehrberufs in der Öffentlichkeit, befördert durch die geringe Selbstwirksamkeitskompetenz der Lehrer*innenschaft ganz allgemein (die berufsrelevante Eigenleistung wird zu wenig kommuniziert, die fachwissenschaftlichen, erziehungswissenschaftlichen und lehrlernwissenschaftlichen („fachdidaktischen“) Qualifikationen werden von den Lehramtler*innen selbst, allerdings auch von allen, die an der Ausbildung der Lehramtstudierenden beteiligt sind, viel  zu gering geschätzt!
  • Die (aktuelle) „Kampfsituation“ der Schulen, die bei Lehrer*innenmangel um ein Geradenocherreichen von Lehrplanzielen bemüht sind.
  • Das Hinterherhecheln nach aktuellen und akuten Technikentwicklungen (nicht nur, aber auch Digitalisierung) um moderne Unterrichtsangebote anbieten zu können, was sicher dann nicht zielführend ist, wenn man die Bildungsziele und die Persönlichkeitsentwicklung in den Fokus stellt
  • Die großen Schwierigkeiten, den Unterricht immer mehr an Ansprüche anzupassen, für die es zwar Verständnis gibt, jedoch keine Präzedenzfälle Inklusion
  • Die großen und fallweise unlösbaren, zum Studienfachwechsel führenden Probleme bei vielen Fächerkombinationen, die etwa wegen zeitlicher Überschneidungen nicht studierbar sind.
  • Der Verlust einer über das Studium hinausgehenden Anbindung an die Universität, speziell an die Fachdidaktik, was durch eine Aufnahme in die Verteilerliste für Fortbildungsveranstaltungen verhindert werden könnte.

 

4. Welche Errungenschaft im Fachbereich Chemie würden Sie gerne noch miterleben?

 

Es wäre fantastisch, wenn es im Bereich der Fachausbildung differenzierte Unterweisungen (Vorlesungen, Seminare)  für „Vollchemiker*innen“ und „Studierende des Lehramts für Chemie“ geben könnte. 

Zudem würde es ebenfalls einen Fortschritt darstellen, wenn Abschlussarbeiten (hier Master, MEd) fächerverbindend zwischen Fach- und Lehrlernwissenschaft (Fachdidaktik) ermöglicht würden. Hierzu gibt es bereits klare Bereitschaften inkl. Vorgespräche, etwa zwischen den Materialwissenschaften (Prof. Kleitz) und dem IDC.

Mit der schon erfolgten Einrichtung des „Chemiedidaktischen Forschungslabors“ wird es möglich sein, dass Forschungsergebnisse aus dem Haus so weiterverfolgt werden, dass es gelingt,  die ihnen adäquate schulrelevante Umsetzung auf experimenteller Basis zu entwickeln, sodass Wissenschaft schneller in die Schulen kommt, was wiederum ein wichtiger Teil der zukünftig zu organisierenden fakultätsinternen Lehrer*innenfortbildung sein soll.

 

Bleibt noch, etwas Außergewöhnliches nicht zu übersehen, nämlich dass es an der hiesigen Fakultät bis hinauf in die Universitätsleitung eine klare und sehr positive Ansage hinsichtlich der Bedeutung von Fachdidaktik (Lehrlernwissenschaftlichen Chemie) für die LA-Ausbildung gibt (Nach meiner jetzt fast 40jährigen Erfahrung ist dies keinesfalls selbstverständlich und verbreitet). Für die Lehrer*innenbildung in Chemie ist die Uni Wien federführend für ganz Österreich. Diese Aufgabe nimmt sie ernst und das muss von den Dozenten und auch den Studierenden mitgetragen werden. Dann wird sich die gute Entwicklung auch selbst fördern. Besonders schön wäre es, wenn es neben dem fachwissenschaftlichen Ranking, das alljährlich international die Universitätenqualität zu bestimmen sucht, auch ein Ranking hinsichtlich der Qualität der Lehrer*innenbildung geben würde. Dann würde es zu einem tollen Dreiklang kommen, dem dann getrennt aber überzeugend und öffentlichkeitswirksam zugearbeitet werden kann, nämlich „Forschung – Lehre – Lehrer*innenbildung“. Die Uni Wien und die Fakultät für Chemie müssten den Rankingplatz dann nicht fürchten.

 

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