Peter Lieberzeit

Interview

1. Was bedeutet Lehre für Sie und was sind für Sie die größten Herausforderungen?

 

Generell ist die Lehre für mich ein sehr wichtiger Teil meines Berufs und meiner Berufung an der Universität. Die Universität ist ja die Einheit aus Forschung und Lehre und für mich ist die Lehre tatsächlich ein Teil, den man nicht nur machen „muss“, weil man dann auch Forschung machen „darf“. Sie ist für mich tatsächlich ein sehr wichtiger Aspekt des alltäglichen Lebens an der Universität und ich mache es auch gerne. Und das meine ich völlig unabhängig vom Format, also egal ob wir jetzt von Coronazeiten oder „normaler“ Lehre sprechen.
Was mir generell sehr wichtig ist, ist der Versuch Verständnis, Überblickswissen und Zusammenhänge zu vermitteln. Also letztlich Studierenden dabei zu helfen tatsächlich Verständnis für das Fach zu bekommen. Gerade in den ersten 2 Jahren des Bachelorstudiums, aber auch danach. Denn letztlich ist es das, was die Leute nachher auch brauchen um sich im Fach zurechtzufinden, egal ob es jetzt das Berufsleben, oder ob es ein reines Interesse ist.

Ich versuche in Lehrveranstaltungen Studierenden gegenüber sehr offen und wertschätzend aufzutreten. Auch wenn ein Lehrenden-Lernenden Verhältnis natürlich inhärent ein bisschen Hierarchie beinhaltet: Am Ende des Tages prüft eine Person und die andere wird geprüft. Ich finde es immer sehr schön, wenn in einer Lehrveranstaltung oder Feedbackrunde Studierende dann mit Fragen kommen, wenn sie etwas nicht verstehen. Es kommt auch durchaus vor, dass Leute vor Prüfungen zu mir kommen und sagen: „Den Teil habe ich nicht verstanden. Können Sie mir das nochmal erklären?“. Das kann ich natürlich nicht machen, wenn es Tausende versuchen, aber wenn es Einzelne bleiben, dann geht das. Für mich ist es sehr wichtig zu sagen: „Ja, wir stehen zur Verfügung.“. Ich stelle an mich selbst den Anspruch, die Dinge gut machen zu wollen. Das gelingt sicher nicht immer, aber hoffentlich manchmal doch. Ich stelle dann aber auch den Anspruch, dass ich dieses Überblickswissen und Verständnis bei Prüfungen auch abprüfe.

Wenn ich es aus der Vorlesungslehre sehe, ist das natürlich ein hehres Ziel. Tatsache ist, dass wir Lehrenden natürlich nur etwas anbieten können. Ob das Angebot dann von allen Studierenden angenommen wird oder nicht, ist ein anderes Thema. Wenn wir es jetzt spezifischer in der Coronakrise sehen, dann ist es sicher der Wegfall oder das Schwierigmachen des Interaktiven. Ich habe ja relativ viele Screencasts produziert und mache auch jetzt noch welche, gerade für die Mastervorlesungen. Was wirklich fehlt ist die Stundenwiederholung und das Interaktive.

Herausforderung Lehre allgemein? Also in der Vorlesungslehre haben wir ja per se nicht so viele Möglichkeiten. Da wird Stoff vermittelt und dann geprüft. In den Praktika sehe ich im Moment einen Schwachpunkt -und den werden wir so schnell nicht herausbringen- in der Tatsache, dass wir tatsächlich keine Zeit haben Studierende Fehler machen zu lassen. Weil es ja gerade im Praktischen sehr wichtig ist, dass dann tatsächlich auch einmal 2 Tage im Praktikum schief gehen können, ohne, dass das Damoklesschwert über einem Haupt schwebt. Denn wie ich finde, lernt man ja nicht aus den Dingen, die funktioniert haben. Das ist für mich sicher ein Fehler und das ist ein Problem der Studienarchitektur. Das ist letztlich auch eine Frage der Lehr-Budgetierung, das ist mir ganz klar
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Die Herausforderung an der Chemie für Studierende ist sicher, dass im ersten Jahr eine sehr steile Stufe von der Schule bis zum Ende des ersten Studienjahres ist, weil wir da den Leuten eigentlich strenges naturwissenschaftliches Denken beibringen müssen.  Mein Gefühl ist immer, dass wenn man sagt: „Wir sind hier von der Matura, wir bekommen Leute mit einer gewissen Kenntnis und einem bestimmten Niveau herein und müssen sie hier im Bachelor herauslassen oder im Master“, dann geht das nicht linear sondern wir haben in den ersten 2 Jahren eine sehr steile Stufe. Ich habe den Eindruck, dass es danach abflacht: im Masterstudium erreichen viel mehr Studierende viel bessere Noten, als im Bachelor. Eine Frage, die wir uns natürlich kurz- und mittelfristig auch stellen müssen, ist, warum es eigentlich so schwer ist im Bachelorstudium ausgezeichnete Leistungen zu erbringen. Mir geht es nicht darum, das Niveau hinunterzuschrauben. Aber wahrscheinlich müssen wir uns überlegen, ob wir nicht bei Meilensteinen auch sehr gute Studierende frustrieren.     

 

2. Wie lief die Umstellung auf Home-Learning für Sie?

 

Ich war da in einer glücklichen Situation, weil ich zufällig –ganz zufällig natürlich nicht– vorbereitet war. Und zwar nicht, weil ich die Coronasituation hätte kommen sehen. Sondern weil ich voriges Jahr im Spätherbst bereits im Wissen, dass ich einen Teil der VO Allgemeine Chemie übernehmen würde und das ordentlich machen wollte, Unterstützung von Studierenden organisiert hatte, die über das Center of Teaching and Learning (CTL) als E-MultiplikatorInnen wirk(t)en. Außerdem hatte ich im Lauf der Jahre auch 2 europäische Bildungsprojekte als Koordinator, in denen es nämlich um E-Learning Fragestellungen ging. Dadurch hatte ich schon etwas Wissen im Hinterkopf. Ich habe mich auch mit Frau Kollegin Groß beraten. Das heißt ich hatte schon die innere Bereitschaft zu sagen: „Ich probiere in der Allgemeinen Chemie einmal aus, was man da machen kann.“. Und dann kam Corona und wir mussten plötzlich innerhalb von 1, 2, 3 Tagen de facto etwas für die Analytische Chemie 1 auf die Beine stellen. Das war im ersten Moment relativ hart, da man sich natürlich von „Null“ auf „Nutzbar“ in die ganzen Videosoftwares einarbeiten musste. Videoschnitt und Videoproduktion ist keine triviale Sache, weil ich doch den Anspruch stelle eine gewisse Qualität zu liefern, auch wenn es „nur“ ein Screencast ist, damit sich die Leute das auch gerne anschauen.

Was sich bewährt hat,war, dass wir dank der E-MultiplikatorInnen die entsprechende Übungs- und Selbsttest-Infrastruktur relativ schnell aufbauen konnten. Dafür bin ich den drei Kolleg*innen (Masterstudierende des LA Chemie) auch sehr dankbar. Das hat mir ermöglicht in der Analytischen Chemie 1 relativ schnell ein „Komplettpaket“ auf die Beine stellen zu können. Für mich war nämlich zum Zeitpunkt des Lockdowns klar, dass Studierende möglichst schnell Material benötigen. Mir war es wichtig zu „liefern“, da ja immer im Raum stand, dass die Praktika im Sommer stattfinden würden. Daher sollten sich Studierende bereits während des Lockdowns möglichst mit dem Stoff beschäftigen können. Damit sie sagen können: „Ich habe Materialien, mit denen ich weiterarbeiten kann“ und nicht nur Zuhause sitzen und nicht wissen, wie es weitergeht. Denn es nützt ja nichts, wenn man alles im Mai hinstellt und dann die Leute 2 Monate (also März und April) „in der Luft hängen“, und dann kommt der Stress von allen Seiten.

 

3. Wieso haben Sie sich für eine universitäre Laufbahn entschieden?

 

Ich wollte es eigentlich immer schon machen. Ich bin familiär ein bisschen vorgeprägt, weil einer meiner beiden Großväter an der Universität tätig war, allerdings nicht in Österreich und in einem, na, doch anderen Fach. Also weit genug weg, dass man es nicht direkt vergleichen könnte.

Mich hat Chemie immer fasziniert; Ich komme über die Chemieolympiade, an der ich vier Jahre teilnahm. Und mir hat dieses Sich-mit-dem-Fach-beschäftigen-Können, dieses Sich-mit-der-Wissenschaft-beschäftigen-Können auch in der Kombination mit Lehre immer sehr gut gefallen. Nur war es zu dem Zeitpunkt, als ich diplomierte, eigentlich eine unrealistische Idee, weil der Personalstand „zubetoniert“ war. Ich habe diplomiert 1996, das ist kein großes Geheimnis, und da war das auslaufende Beamtenwesen. Damals war die Fakultät für Chemie personell sehr verknöchert. Ich hatte jedoch in dem Fall das Glück, mich für einen sehr guten, aber nicht bequemen Mentor für meine Masterarbeit und Dissertation zu entscheiden. Da war eine Stelle frei, dadurch hatte ich die Chance ins Haus zu kommen.

 

Warum ich es gerne mache, hat viele Gründe. Das Eine ist: ich mag das sich wirklich mit dem Fach Beschäftigen, mit der Chemie. Bis zu einem gewissen Grad um ihrer selbst willen aber durchaus auch in der angewandten Forschung. Ich mag den Lehrbetrieb, also das Arbeiten mit Studierenden (auch wenn ich mehr Zeit in meine Gruppe investieren könnte). Und ich stehe dazu: ab einer gewissen Position an der Uni hat man eigentlich völlige Freiheit. Ich habe ja keinen direkten Vorgesetzten, außer dem Rektor. Das heißt es sagt mir keiner, woran ich forsche, es sind keine ökonomischen Zwänge da, wie man sie in einer Firma hätte und es ist für mich ein sehr überzeugendes Gesamtpaket. Und nicht zuletzt auch der ganze Internationale Teil. Ich war zwar seit ich an der Uni arbeite an der Universität Wien, aber ich habe auch sehr viel international kooperiert und mache es nach wie vor. Auch im Konferenzbereich etc., das macht mir alles großen Spaß.

 

4. Was sollte sich in Ihren Augen am dringendsten an der Universität ändern?

 

Da sehe ich 2 Dinge: Das Eine ist ein bisschen die personalpolitische Seite. Anfangs war die Universität ein sehr verknöcherter Beamtenapparat, doch dann, mit der Änderung des Universitätsgesetzes, schlug das Pendel in die andere Richtung aus. Als die Universitäten aus dem Bundesrecht entlassen wurden, sind diese von einem Extrem in das andere gefallen. Denn nun waren für ein paar Jahre überhaupt keine längerfristigen Verträge mehr vernünftig möglich. 

Das entwickelt sich jetzt wieder ein bisschen zurück. Was ich gut finde ist diese Entwicklung ein bisschen in Richtung eines Modells, dass man auch jüngeren Wissenschaftler*innen in einem früheren Stadium unter Umständen schon längerfristige Perspektiven bieten kann. Das halte ich für einen sinnvollen und guten Weg. Wenn ich mit ausländischen Kolleg*innen spreche, die dann wegen jeder Reiserechnung bei ihrer Staatskanzlei anrufen müssen, dann laufen viele Dinge in Österreich unkomplizierter. Das Problem, dass ich nach wie vor in der Unilandschaft sehe, ist, dass es mir eigentlich lieber wäre eine gewisse Verbindlichkeit auch von den Studierenden einzufordern zu können. Ich sag einmal so: Die Uni wird vom Ministerium angehalten gewisse Parameter zu erfüllen, gewisse Kennzahlen zu liefern, hat aber de facto in manchen Punkten nicht die Möglichkeiten, das intern auch tatsächlich durchsetzen zu können. Ich verstehe natürlich durchaus, dass die Meinung einer Studierendenvertretung und meine da möglicherweise ein bisschen auseinander gehen. Das liegt in der Natur der Sache Und ich bin bei Gott der letzte, der da jetzt sozusagen einen Pedell als „Zuchtmeister“ haben will, darum geht es sicher nicht. Sondern wirklich darum zu sagen: „Leute, ein Studium ist auch bis zu einem gewissen Grad verbindlich, wie auch im Fall einer Arbeitsstelle.“ Ich bin auch, muss ich sagen, kein Gegner moderater Studiengebühren und da sind unsere Meinungen jetzt ganz sicher auseinander. Aber ich habe einen guten Grund dafür und zwar sage ich: „in dem Moment, in dem Studierende einen eher einen symbolischen Betrag nehmen - also nicht britische Beträge, sind Studierende natürlich auch Kund*innen des Systems, die dann ein bisschen den Hebel haben, gewisse Dinge einzufordern. Weil es nämlich ein Unterschied ist, ob man etwas kostenlos bezieht, oder nicht. Im kostenlosen Fall kann nämlich seitens der Institutionen immer das Argument kommen: „Sei froh, dass du überhaupt etwas bekommst.“. Und selbst als symbolisch zahlender Kunde hat man ein wenig einen anderen Status.  

Was mir auch wichtig ist, ist es nicht zu sehr entlang von Instituts- und Fachgrenzen zu denken, sondern vielleicht etwas überblickender auch in die Lehre zu gehen. Denn in der Forschung haben wir das: Leute kollaborieren quer über die Institute. Aber in der Lehre hat man noch ein bisschen dieses Kastendenken. Da ist Anorganik, da ist Organik, da ist Analytik, da ist Physchem. Und das hat nichts miteinander zu tun. Da gäbe es Möglichkeiten, aber da ist das Risiko zu groß, dass die Qualität dieser Projekte an den beteiligten Personen hängt. Und was mir immer wichtig war und ist: Lösungen oder Möglichkeiten, die wir Studierenden anbieten, müssen so konstruiert sein, dass sie von den handelnden Personen möglichst unabhängig sind. Also institutionalisiert.

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